Abgabenordnung - Buchführungspflicht einer ausländischen Immobilienkapitalgesellschaft (BFH)
26.01.2016
Im Beschluss vom 15.10.2015 vertritt der BFH die Auffassung, dass es sehr zweifelhaft ist, ob eine ausländische Kapitalgesellschaft, die nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f S. 2 EStG 2009 i.V.m. § 2 Nr. 1 KStG 2002 mit ihren inländischen Vermietungseinkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist, zu den gewerblichen Unternehmern i.S. des § 141 AO gehört und deshalb nach dieser Vorschrift buchführungspflichtig ist (BFH, Beschluss vom 15.10.2015, I B 93/15).
Sachverhalt:
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (A) ist eine Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts mit Sitz in ... Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat sie in Deutschland keinen ständigen Vertreter und ist deshalb nur mit ihren, aus der Vermietung des in M gelegenen Grundstücks, erzielten Einkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 KStG 2002). Da A für das Jahr 2010 aus der Vermietung dieses Grundstücks einen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG 2009 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 als gewerbliche Einkünfte zu erfassenden Gewinn in Höhe von 133.131,82 EUR erklärt hatte, erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) ihr gegenüber mit Bescheid vom 1. September 2011 die Mitteilung nach § 141 Abs. 2 S. 1 AO über den Beginn der Buchführungspflicht für den Gewerbebetrieb "Vermietung und Verwaltung von Grundbesitz". Der hiergegen erhobene Einspruch wurde vom FA mit Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 als unbegründet zurückgewiesen. Über die daraufhin erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden. Auch der beim FA gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) blieb ohne Erfolg; der hiergegen gerichtete Einspruch wurde gleichfalls mit Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 zurückgewiesen.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der gerichtliche Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO, die Vollziehung der Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht auszusetzen. Er wurde vom FG des Landes Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 16. Juli 2015 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde.
Der BFH hat auf die Beschwerde von A den Beschluss des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 2015 aufgehoben und die Vollziehung der Mitteilung vom 1. September 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Hauptsachverfahrens ausgesetzt.
Gründe:
- Die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über die AdV nach § 69 Abs. 3 FGO ist statthaft, weil sie vom FG ausdrücklich zugelassen wurde (§ 128 Abs. 3 Satz 1 FGO).
- Der gerichtliche AdV-Antrag ist nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 FGO zulässig. Die Mitteilung nach § 141 Abs. 2 AO, durch die das FA auf die Verpflichtung hinweist, ab Beginn des nächsten Wirtschaftsjahrs Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, dessen Vollziehung gemäß § 69 FGO ausgesetzt werden kann.
- Entgegen der Ansicht des FG hat der Antrag auch in der Sache Erfolg, weil ernsthafte Zweifel an der gegenüber der A ergangenen Mitteilung nach § 141 Abs. 2 AO bestehen. Ernsthafte Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 S. 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschlossenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken. Die AdV setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen. Hiervon ist vorliegend auszugehen.
- Nach § 141 Abs. 1 S. 1 AO sind "gewerbliche Unternehmer", für die sich die Buchführungspflicht nicht aus § 140 AO ergibt, u.a. dann verpflichtet, für diesen "Betrieb" Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, wenn sie nach den Feststellungen der Finanzbehörde für den einzelnen Betrieb einen Gewinn aus "Gewerbebetrieb" von mehr als 50.000 EUR im Wirtschaftsjahr gehabt haben. Es unterliegt im vorgenannten Sinne ernstlichen Zweifeln, ob zu dem vom § 141 AO angesprochenen Personenkreis auch die A gehört, die nach den bisherigen Feststellungen keine originäre gewerbliche Tätigkeit entfaltet hat, aber als Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts nach § 2 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 und § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG 2009 beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. Während Satz 1 der zuletzt genannten Bestimmung nicht nur das Erzielen von Vermietungs- oder Veräußerungseinkünften (u.a.) aus inländischem unbeweglichem Vermögen (z.B. Grundstücken), sondern darüber hinaus auch die Gewerblichkeit dieser Einkünfte i.S. von § 15 EStG erfordert, dehnt § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f S. 2 EStG 2009 den Tatbestand der "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" im Wege der Fiktion auf lediglich vermögensverwaltend tätige ausländische Kapitalgesellschaften aus; die Gewerblichkeit wird m.a.W. kraft Rechtsform fingiert. Hieraus ergibt sich zwar, dass auch diese gewerblich fingierten Einkünfte nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 4 ff. EStG über die Bestimmung des Gewinns zu ermitteln sind; auch mag es zutreffen, dass dieser Einkünfteermittlung ein inländisches gewerbliches Betriebsvermögen zugrunde liegt. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob durch die aufgezeigten Regelungszusammenhänge eine Buchführungspflicht nach § 141 AO begründet wird, da letztere Vorschrift tatbestandlich an das Vorliegen eines tatsächlichen "(Gewerbe-)Betriebs" sowie in personeller Hinsicht an die Einkünfteerzielung durch einen "gewerblichen Unternehmer" anknüpft und nach der Rechtsprechung des Senats hierdurch auf die Gewerblichkeit i.S. von § 15 Abs. 2 EStG Bezug genommen wird. Demgemäß muss es der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob der Tatbestand des § 141 AO auch für die in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f S. 2 EStG 2009 genannte Fiktion geöffnet werden kann und insbesondere der Zweck dieser Vorschrift eine solche Auslegung erfordert. Erwägungen hierzu erübrigen sich nicht deshalb, weil sich nach der Rechtsprechung des Senats die Buchführungspflichten des § 141 AO ausschließlich auf die im Inland steuerbaren Einkünfte beziehen. Dies steht auch vorliegend nicht im Streit, gibt jedoch keine Antwort auf die weitergehende - und vorliegend streitige - Frage danach, ob die steuerbaren inländischen Einkünfte der A im Wege der Überschussrechnung oder - gestützt auf die Regelungen des § 141 AO - durch einen Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln sind.
- Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Mitteilung gemäß § 141 AO bestehen ferner insoweit, als die zuletzt genannte Bestimmung eine originäre steuerrechtliche Buchführungspflicht begründet und ihr gegenüber den in § 140 AO angesprochenen (d.h. aus anderen als den Steuergesetzen sich ergebenden) Buch- und Aufzeichnungspflichten nur subsidiäre Bedeutung zukommt. Da demnach § 141 AO nur den über § 140 AO hinausgehenden Kreis von Buchführungspflichtigen erfasst und der Senat mit Urteil vom 25. Juni 2014 I R 24/13 ausdrücklich offengelassen hat, ob ausländische Buchführungspflichten nach § 140 AO materiell-rechtlich die Art der Gewinnermittlung nach deutschem Ertragsteuerrecht bestimmen, hätte es - was im Hauptsacheverfahren nachzuholen sein wird - der Aufklärung bedurft, ob die A nach liechtensteinischem Recht Bücher zu führen hatte. Der Senat hat mit dem zuletzt genannten Urteil des Weiteren erkannt, dass eine ausländische Buchführungspflicht ebenso wie eine tatsächliche (freiwillige) Buchführung jedenfalls das Wahlrecht zur Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ausschließt. Angesichts dessen wird im Hauptsacheverfahren ggf. auch unter diesem Blickwinkel darüber zu entscheiden sein, ob angesichts dieser materiell-rechtlichen Beurteilung und der hiermit verbundenen bilanziellen Gewinnermittlung noch Raum für die Begründung einer Buchführungspflicht gemäß § 141 AO besteht.
- Die A ist durch den Bescheid vom 1. September 2011 (Mitteilung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 AO) selbst dann beschwert, wenn man ihre Bilanzierungspflicht nach liechtensteinischem Recht bejaht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass eine auf § 141 AO gestützte Buchführungspflicht nicht allein durch ein Unterschreiten der Grenzwerte des § 141 Abs. 1 AO, sondern erst nach einer entsprechenden Feststellung der Finanzbehörden mit Ablauf des darauf folgenden Wirtschaftsjahrs endet.
Quelle:
BFH, Entscheidungen online, Veröffentlichungsdatum 2.12.2015.